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     Letzte Aktualisierung: 10. 02. 20


In deinen Händen

Variante J1

Ich entschied für mich JA.
„Hey Raphael. Was hast du denn da gemalt? Zeig mal!“
Doch Raphael reagierte nicht. Es schien, als lebte er in seiner eigenen Welt, zu der niemand Zugang hatte. Aber so leicht ließ ich mich nicht abwimmeln.
„Das sieht ja echt krass aus. Ich wollte, ich könnte auch so toll zeichnen.“
Oh, was war das bloß für ein Geschleime von mir! Das konnte er mir unmöglich abnehmen! Aber zu meiner Überraschung regte sich etwas bei Raphael. Er drehte sich zu mir um und schaute mich prüfend an. Klasse! Immerhin ignorierte er mich nicht mehr komplett. Einen Fuß schien ich in seiner „Wohnung“ zu haben. Also jetzt nur nicht nachlassen, Linus!
„Der Soldat sieht fast so aus wie einer aus meinem Ego-Shooter-Spiel.“
„Aha. Solche Spiele interessieren mich nicht“, entgegnete Raphael nüchtern und drehte sich wieder von mir ab. Oh Mann!, dachte ich. Der Typ machte es einem echt nicht leicht! Aber so schnell wirst du mich nicht los!
„Was interessiert dich denn?“
Widerwillig blickte er wieder zu mir: „Comics.“
„Aha. Interessant“, log ich. „Und welche Art von Comics?“
„Um Heldencomics. Mein Lieblingsheld ist Deadpool, der eigentlich eher Antiheld ist. Der kann einstecken, aber auch austeilen. Er ist ein Kämpfer, der es mit jedem aufnimmt und der sich nichts gefallen lässt.“
Aha, dachte ich, also das genaue Gegenteil von dir, Raphael.
„Ist er gut oder böse?“
„Sowohl als auch. Er ist Held und brutale Killermaschine in einem. Hier habe ich eine Zeichnung von ihm. Schau!“
Dann zeigte er mir einen rot-schwarz maskierten Typen, der auf seinem Rücken zwei Schwerter trug.“
„Coole Schwerter!“, sagte ich, um etwas Begeisterung vorzutäuschen.
„Das sind Katanas. Japanische Langschwerter“, verbesserte er mich.
„Okay. Bring morgen doch mal einen Comic von dir mit, Raphael! Ich würde gerne mal sehen, zu welchen künstlerischen Großtaten du fähig bist.“
„Mal sehen.“
Dann kam Emre plötzlich: „Hey, Linus! Kommst du mit, Chips holen? Mehmet und Markos sind auch schon bereit.“
Markos war der Grieche in unserer Klasse. Er war fast so cool wie ich, aber in der Regel noch langsamer als ich. Dieses Mal aber war er mir zuvorgekommen, was mir aber nichts ausmachte.
„Klar! Ich frag bloß noch Selin, ob sie auch mitkommen will.“
Selin war eine Kopftuch tragende Türkin, mit der ich ziemlich gut auskam, obwohl sie manche Dinge tat, die ich nicht ganz verstand. Der Besuch des Latein-Stützkurses gehörte dazu. Daran erinnerte ich sie auch heute, während wir unterwegs zum Lebensmittel-Discounter waren.
„Echt jetzt, Selin. Du musst doch verrückt sein, freiwillig zum Stützkurs zu gehen. Ich würde einiges tun, um nicht dahin zu müssen.“
„Einiges, ja. Aber offensichtlich gehört Lernen nicht dazu“, erwiderte sie amüsiert.
„Aber ich lerne doch – und zwar immer wenn eine Klassenarbeit ansteht.“
„Vielleicht solltest du auch zwischendurch mal lernen, Linus. Dann wirst du vielleicht irgendwann einmal eine Zwei in Latein erreichen.“
„Eine Zwei? Ich würde mich auch schon über eine Drei riesig freuen.“
„Und das ist der Unterschied zwischen uns beiden. Ich bin mit einer Drei nicht zufrieden.“

Eine halbe Stunde saßen Emre, Mehmet, Markos, Selin, Raphael und ich im Lateinraum und aßen alle gemütlich unsere Knabbersachen – alle außer Raphael, der abseits von uns irgendetwas zu zeichnen schien. Kurz bevor es Klingeln würde, kam Stefan herein. Er war der einzige Schüler, der nicht in unserer Klasse, der 8b, war. Er war genauso blond wie ich, aber deutlich größer und stämmiger. Und ich war auch schon kein Spargeltarzan. Manche würden mich sogar als etwas pummelig bezeichnen. Ähnlich wie Stefan hatte auch ich keine Probleme mit meinem Überschuss an Körpergewicht. Auch mit Bauch konnte mal cool sein. Zumindest war ich es, denn ich war witzig und schlagfertig. Stefan versuchte zwar auch, cool zu wirken, aber meiner Meinung nach fehlte ihm das gewisse Etwas.
Betont lässig schlenderte er auf Mehmet zu. „Ey Bruder. Ist Ebru da?“
Ebru war Mehmets sexy Freundin. Heute war sie wegen einer Magen-Darm-Grippe zu Hause geblieben.
„Nein. Sie ist krank.“
Der Gong ertönte. Dies nahm unser Lateinlehrer zum Anlass, den Unterricht zu beginnen.
„Salvete, discipuli et discipula!“
„Salve, Magister!“, kam es sogleich von der Mehrzahl der Schüler zurück.
„Aber, Herr Grüter, haben Sie nicht gerade einen Fehler gemacht? Es muss doch „discipulae“ und nicht „discipula“ heißen. Zumindest sagen sie das sonst immer.“
Da schaltete sich Selin ein: „Aber heute ist nur eine Schülerin da, nämlich ich. Also hat Herr Grüter den Singular benutzt.“
„Optime, Selin“, lobte Herr Grüter die Kopftuchträgerin.
„Hey Selin, du solltest uns unterrichten!“, rief ich ihr zu. Als ich den ernsten Gesichtsausdruck von Herrn Grüter sah, fügte ich schnell hinzu: „Natürlich nur damit Sie sich mal von uns erholen können, Herr Grüter.“
Doch mein Beschwichtigungsversuch schien nicht zu funktionieren. Dass Herr Grüter kurz darauf von mir verlangte, dass ich das Wort „senator“ dekliniere, konnte nur ein Ausdruck seiner gekränkten Eitelkeit sein.
„Senator? War das nicht ein Wort der konsonantischen Deklination?“, riet ich.
„Richtig!“, freute sich Herr Grüter.
„Ähm, die kann ich nicht.“
Und schwups war die Freude im Gesicht meines Lehrers wieder verschwunden.
„Wer kann sie denn?“, fragte Herr Grüter in die Runde.
„Fragen Sie mal den Raphael!“, empfahl Stefan unserem Lehrer. „Der kann Ihnen das Wort „senator“ bestimmt wie im Schlaf deklinieren.“
„Ach wirklich?“ Herr Grüter strahlte wieder. Offensichtlich verstand er nicht, dass Stefan seine Empfehlung nicht ernst gemeint hatte. Ich aber wusste genau, dass Stefan dem bedauernswerten Nerd nur mal wieder eins reinwürgen wollte.
„Okay, Raphael. Dann fang mal an“, befahl Herr Grüter. „Was ist denn die Genitiv Singular Form von „senator“?“
„Senatori?“, fragte Raphael mit leiser und unsicherer Stimme.
„Nein.“
„Senatoris!“, rief Stefan rein.
Doch Stefan war nach diesem Einwurf bereits am Ende mit seinem Latein. Was folgte, war das zähe Ringen um Formen und Endungen, mit dem ich den Leser nicht langweilen will. Auch das anschließende Bearbeiten eines Arbeitsblattes wurde erst durch gelegentliche Anekdoten von Emre, Mehmet, Markos, Selin und mir einigermaßen erträglich.
Spannung kam in der 10-Minuten-Pause wieder auf. Ausgerechnet Stefan sorgte dafür, indem er uns ein Butterflymesser präsentierte.
„Oh cool!“, fand Emre. Auch ich machte große Augen, als ich Stefans Waffe sah. Wie kam solch ein Lappen nur an solch ein cooles Messer? Sollte ich Stefan etwa unterschätzt haben?
Dann kam Herr Grüter wieder. Sofort erblickte er Stefans Messer und erschrak. „Stefan!? Was in Teufels Namen hast du denn da?“
„Keine Angst, Herr Grüter!“, versuchte Stefan seinen Lehrer zu beruhigen. „Das ist kein echtes Butterflymesser. Bloß eins zum Üben.“
Ich vermute, dass Herr Grüter erleichtert war, als er Stefans Entwarnung hörte. Wir Schüler aber waren schon etwas enttäuscht. Dabei hätte ich es eigentlich wissen müssen. So etwas Cooles konnte einfach nicht im Besitz von jemandem sein, der so uncool wie Stefan war. Auf Befehl von Herrn Grüter packte Stefan sein Messer in seine Tasche, wo es bis zum Ende der Stunde blieb. Bis es soweit war, konnte ich mich irgendwie mit dem Messer identifizieren. Auch ich wartete sehnsüchtig darauf, herausgelassen zu werden.
Dann kam endlich der befreiende Gong. Kaum hatten wir den Klassenraum verlassen, holte Stefan sein Fake-Butterflymesser heraus. Doch er tat es nicht, um zu üben. Er bedrohte Raphael damit: „Hey, Raphael. Stell dir vor, dies wäre ein echtes Messer! Dann könnte ich dich jetzt damit aufschlitzen!“
Dann fing Stefan an, sein Messer immer wieder in Raphaels Nähe zu stoßen. Einmal war es sogar kurz davor, ihn zu schneiden. Ich überlegte kurz, was ich tun sollte. Sollte ich etwa dazwischen gehen und Raphael aus seiner misslichen Lage befreien?

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Der Literaturminister rät: Trauen Sie keinem Zitat, das Sie nicht selbst aus dem Zusammenhang gerissen haben.