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     Letzte Aktualisierung: 10. 02. 20


In deinen Händen

Variante Ja1Nein1

Nein. Ich war weder sein Babysitter noch sein Bodyguard. Er sollte lernen, wie man sich alleine durchsetzt. Wenn man jemanden ständig bemuttert, kann der sich nie zu einer selbstständigen Person entwickeln, fand ich. Also ging ich einfach weiter und ließ die beiden ihren Kampf alleine austragen. Allerdings bekam ich dadurch nicht mit, wie Raphael blitzschnell das Messer an sich riss, Stefan zu Boden warf und ihm das Messer an die Kehle hielt. Ich verpasste auch die wahrscheinlich längste Rede, die Raphael jemals in seinem Leben gehalten hatte:
„Wenn dies ein echtes Butterflymesser wäre, müsste ich jetzt nur noch eine klitzekleine Bewegung machen und der Schulhof würde von deinem Blut überflutet werden. Alles hier wäre rot. Und ich liebe Rot. Es steht für eben nicht nur für Liebe, sondern auch für den Tod. Dir würde ich letzteren eindeutig mehr gönnen.“
Stefan war zu geschockt, um irgendetwas von sich zu geben. Ich starrte Raphael bloß verstört an und zitterte dabei am ganzen Körper. Er verharrte noch am Boden, nachdem Raphael schon nicht mehr zu sehen war. Dann sah er, dass er in sich die Hose gemacht hatte. Diesen Teil aber ließ er aus, als er später von dieser ersten erschreckenden Konfrontation mit Raphael berichtete.

Am nächsten Morgen stand in der ersten Stunde Englisch auf dem Stundenplan. Ich war gespannt, ob Raphael einen seiner Comics mitgebracht hatte. Also war mein Gang zur Schule heute etwas flotter als sonst. Die Folge war, dass ich schon fünf Minuten vor dem Klingeln dort war. Auch Raphael war bereits eingetroffen.
„Hi Raphael. Hast du den Comic mitgebracht?“
„Nein“, antwortete er mürrisch. Ich spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. War er vielleicht sauer, dass ich ihm gegen Stefan nicht geholfen hatte?
„Raphael, hör mal, es tut mir leid, dass ich nicht eingeschritten bin, als dich Stefan mit seinem Messer provoziert hat.“
Als von Raphael keine Antwort kam, fuhr ich fort: „Manchmal bin ich halt ein kleiner Schisser.“
Ich sah ein Schmunzeln in Raphaels Gesicht. Dann griff er in seine Tasche und holte einen Comic heraus.
„Hier ist der Comic.“
Dann zeigte er mir, was er gezeichnet hatte. Ich muss gestehen, dieses Mal musste ich meine Begeisterung nicht vortäuschen. Das war echt der Hammer! Der Junge hatte Talent!
„Wow! Wie cool ist das denn!“
Ich bemerkte, wie Raphael errötete.
„Hast du das schon einem Comic Verlag geschickt? Ich meine, das müssen die sehen!“
„Ähm ...“
Dann ertönte der Gong und Raphael verstummte, während er auf unsere Lehrerin Frau Nansen schaute, der anzusehen war, dass sie gleich mit dem Unterricht beginnen wollte.
Na gut. Dann wartete ich halt. Frau Nansen tat dies allerdings nicht, sondern kam gleich zur Sache: Hausaufgaben. Mist! Die hatte ich ganz vergessen! Und so geschah es, dass ich mir wenig später eine Standpauke von Frau Nansen anhören musste. Dabei verausgabte sie sich so sehr, dass sie für Raphael, der ebenfalls seine Hausaufgaben nicht dabei hatte, bloß einen missbilligenden Blick übrig hatte. Gern geschehen, Raphael. Ich diene gerne als Blitzableiter!
Kurz darauf stellte ich fest, dass ich offensichtlich multifunktional war. Ich hatte Emre zu einem seiner besten Karikaturen inspiriert. Nicht ohne Stolz überreichte er mir ein Blatt, auf dem man eine erboste Lehrerin und einen traurigen Schüler. Die Lehrerin hatte einen Pferdeschwanz und der Schüler war eher klein, pummelig und blond. Die Figuren sollten offensichtlich Frau Nansen und mich darstellen. Aus dem Mund der Lehrerin kamen folgende Worte: „You walk me animally on the cookie, Linus!“
Haha, sehr lustig, dachte ich und konnte ein Lachen so gerade noch unterdrücken. Wesentlich unlustiger war die Mathe-Arbeit, die kurz darauf folgte. Ohne die Hilfe meiner Nachbarn wäre es sicherlich eine Katastrophe geworden. Ähnlich überfordert schien Raphael zu sein. Also zeigte ich ihm hin und wieder ein paar Ergebnis, von denen ich mir sicher war, dass sie richtig waren, was er mit dankbaren Lächeln erwiderte.
In der folgenden großen Pause führten wir unser Gespräch fort.
„Der Comic, den ich dir vorhin gezeigt habe, Linus, hat mir eine Nominierung bei der diesjährigen Superhelden-Comic-Messe eingebracht. Am Ende der Veranstaltung soll dann der Sieger gekürt werden. Der Preis ist ein äußerst wertvolle Comic-Rarität: die erste Ausgabe von Deadpool, also quasi die Geburtsstunde meines Lieblingshelden. Du ahnst nicht, wie gerne ich die besitzen würde!“
Das war die längste Rede, die ich jemals von Raphael zu hören bekommen hatte. Die musste ich erst einmal verdauen. Auch er schien ein wenig in eine Traumwelt abzugleiten. Doch schnell war er wieder da: „Ach, da fällt mir ein. Ich habe außerdem fünf Eintrittskarten bekommen. Willst du vielleicht mitkommen? Es fängt heute Abend um 18 Uhr an.“
„Ähm, eigentlich wollte ich heute Abend mit Emre und Markos ins Kino gehen...“
Er schaute mich traurig an. Plötzlich tat er mir leid. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihm nicht so einfach absagen konnte. Also fügte ich hinzu: „Aber ich könnte auch an einem anderen Tag ins Kino gehen. Ich werde sie mal fragen, ob sie Lust haben.“
In diesem Moment trat Selin heran. „Lust? Worauf?“
Sie hatte anscheinend das Ende meines Satzes mitgehört.
„Auf eine Comic-Messe“, antwortete ich.
„Eine Comic-Messe? Cool!“, freute sich Selin. „Da treffen sich doch mit Sicherheit alle Nerds. Das wird bestimmt lustig. Ich wäre jedenfalls dabei.“
Dass Selin die Leute dort als Nerds bezeichnete, war mir ein wenig peinlich. Ich befürchtete, dass Raphael dies in den falschen Hals bekommen konnte.
„Ähm, Raphael. Aber du bist natürlich kein Nerd. Oder SELIN?“
„Nein. Natürlich nicht“, erklärte Selin und wurde rot, als sie sich ihres Fehlers bewusst wurde.
„Schon gut, Leute. Ich bin ein Nerd. Das haben mir Stefan, Emre, Mehmet und Markos schon oft genug klar gemacht.“
In einem Anflug von schlechtem Gewissen schlug Selin vor: „Wie wär's, wenn nur wir drei gehen werden!“
Dem konnte ich nicht widersprechen. Auch Raphael zeigte sich zufrieden.

Stunden später betraten wir drei die Halle, in der die Comic-Messe stattfand. Gleich hatte ich das Gefühl, dass mich jemand beobachtete. Ich schaute nach links. Ich schaute nach rechts. Ich schaute nach oben. Ah! Das war es! Dort oben klebte eine Spiderman-Figur an seinem riesigen Netz. Ich betete, dass man das Netz stabil genug befestigte hatte und nicht auf uns herabfallen würde. Also drängte ich die beiden anderen, schnell weiterzugehen. Dies war allerdings gar nicht nötig, denn Raphael hatte jemanden entdeckt, dem er sich eilig näherte: Deadpool, oder eine Person, die sich als Deadpool verkleidet hatte. Selin und ich bemühten uns, ihm zu folgen und rannten dabei direkt in einen Superhelden. Während mir der Zusammenprall ein wenig peinlich war, amüsierte sich Selin über sein Kostüm. „Der hat ja eine dicke Sonnenbrille auf. Der kann doch gar nichts sehen. Kein Wunder, dass wir mit ihm zusammenstoßen sind!“
„Das ist keine Sonnenbrille, Selin! Das ist eine Vorrichtung, mit der Cyclops seine Strahlen kontrolliert.“
Ich war froh und ein wenig stolz, dass ich zur Abwechslung mal Selin belehren konnte. Endlich hatte es sich einmal ausgezahlt, dass ich im Kino einen Film, in diesem Fall X-Men, gesehen hatte.
Schließlich erreichten wir Raphael und den Deadpool-Darsteller. Die beiden fachsimpelten über irgendwelche Schusswaffen und Schwerter. Raphael erklärte ihm, dass er von seinem Vater, der im Schützenverein war, viel über das Schießen gelernt hatte. Selin schien dies weniger zu interessieren. Sie schaute sich nach weiteren für sie merkwürdigen Gestalten um.
„Oh! Wer ist denn der große Blonde mit dem Hammer? Weißt du das auch, du Superhelden-Experte?“
„Aber das weiß doch jeder! Das ist Thor!“
„Aha. Und in welchem Verein spielt der?“
„Verein? Thor gehört zu den Avengers.“
„Avengers? Kenne ich nicht. Sind die gerade aufgestiegen?“
„Nein. Das ist keine Fußballmannschaft. Das ist ...“
„Okay, okay, Linus. Das war doch bloß ein Joke. Natürlich kenne ich Thor. Ich lebe doch nicht hinter dem Mond.“
Ich schaute rüber zu Raphael. Er ließ sich gerade neben seinem Idol ablichten und schaute dabei stolz wie Oskar. Als das Foto geschossen worden war, bedankte er sich höflich bei Deadpool und kam wieder zu uns zurück.
„Kommt! Ich zeige euch das Objekt der Begierde!“
„Ach, sind auch sexy Ladys hier?“, fragte ich erstaunt.
„Nein! Ich meine den Comic, den die meisten Anwesenden hier als Trophäe gewinnen wollen, einschließlich mir.“
Ein paar Schritte weiter erreichten wir das, was für manche Comic Fans der heilige Gral war. Dementsprechend wurde er auch geschützt, d.h. er war umgeben von Laserstrahlen, die vermutlich einen Alarm ausgelöst hätten, wenn ihnen jemand in die Quere gekommen wäre. Ich jedenfalls hatte dies nicht vor. Bei Raphael war ich mir dagegen nicht so sicher. Er schaute den Comic so schmachtend an wie ein Minion eine Bananenstaude.
Während wir so dastanden und guckten, kam der Deadpool-Darsteller zu uns:
„Gabba Gabba Hey, Raphael! Ich verrate dir ein Geheimnis. Ich gehöre zu den glücklichen Besitzern solch einer Ausgabe.“
„Echt? Aber davon soll es doch bloß fünf geben! Kann ich dich mal besuchen?“
„Na klar. Aber vielleicht wirst du im Laufe des Abends ebenfalls eine Ausgabe besitzen. Ich drücke dir die Daumen!“
„Danke.“
Plötzlich wurde es stockfinster. Ich konnte nicht einmal mehr die Hand vor den Augen sehen. Nur wenige Sekunden später ging das Licht wieder an. Langsam konnte ich wieder sehen, nur eines konnte ich nicht sehen: den ausgestellten Comic.
Dann rief irgendjemand: „Hey, der Deadpool dort hat den Comic geklaut!“
Er schaute zum vermeintlichen Dieb. Tatsächlich trug er einen Comic, der dem aus dem Laserkäfig verdammt ähnlich sah.
„Nein!“, verteidigte sich der rot-schwarz gekleidete Mann. „Ich habe ihn nicht genommen! Jemand hat ihn mir in die Hand gedrückt!“
Raphael trat an den Beschuldigten heran, warf einen Blick auf den Comic und erklärte: „Das ist nicht der Comic aus der Ausstellung! Der Mann ist unschuldig.“
Dann schaute sich Raphael um. Ich nahm an, dass er den gleichen Gedanken wie ich hatte: Der eigentliche Dieb befand sich noch in der Halle. Wahrscheinlich würde er versuchen, so schnell wie möglich mit dem Comic zu flüchten. Tatsächlich erkannte ich jemanden, der verdächtig eilig den Ausgang anstrebte. Es war Cyclops. Während ich ihm noch nachschaute, hatte sich Raphael den Hammer von Thor genommen und warf ihn wuchtig gegen das Spinnennetz, das an der Decke hing. Ich hoffte, wuchtig genug. Und tatsächlich! Das Netz kam herunter und begrub Cyclops unter sich. Der Dieb war gefangen. Das Heiligtum gesichert.
Obwohl der Raum voll mit Superhelden war, gab es in Wahrheit nur einen einzigen Helden: Raphael.
Zum Dank bekam er von der Jury den heiß ersehnten Comic, worüber er sich natürlich wahnsinnig freute. Und ich freute mich für ihn. Manchmal sind scheinbar auch Nerds richtig cool. Ich war froh, dass ich dies entdeckt hatte. Somit war auch ich um einiges reicher, und zwar um einen Freund.

Lese nun, was passiert wäre, wenn du die beiden Entscheidungsfragen mit NEIN beantwortet hättest. >>>

 

 

Der Literaturminister rät: Trauen Sie keinem Zitat, das Sie nicht selbst aus dem Zusammenhang gerissen haben.